Der Schienenstoßmesswagen 6115

Der Schienenstoßmesswagen 6115 in der Remise Erdberg

Der Schienenstoßmesswagen 6115 in der Remise Erdberg

Einen wesentlichen Faktor für den wirtschaftlichen Betrieb von Gleichstrombahnen stellen die bei der Traktionsstromversorgung auftretenden elektrischen Verluste dar. In den Gleichrichterstationen, den Kabeln der Stromzuleitungen und den Fahrleitungsanlagen lässt sich die einwandfreie Funktion meist anhand visueller Überprüfungen und einfacher Messungen feststellen. Nicht ganz so leicht gestaltet sich die Beurteilung des Rückweges von den Fahrzeugen, der in der Regel über die Schienen erfolgt. Vielfältige Ursachen erhöhter Übergangswiderstände, wie etwa defekte Schweißungen und Schienenstöße, sowie Schienenbrüche, können als Energiefresser in den umfangreichen Gleisnetzen schlummern. Gerade bei Straßenbahnen, wo Schienen bis zur Oberkante in die Fahrbahn eingebettet sind, lässt sich deren Zustand durch spezielle Schienenstoßmesswagen feststellen.

Bereits seit 1906 versah ein derartiges Fahrzeug seinen Dienst auf der Wiener Straßenbahn, das zwar über einen Lyrabügel zur Stromversorgung der Messeinrichtungen, jedoch über keine Fahrmotoren verfügte. Dessen Makel lag vor allem darin, immer von einem Triebwagen geschleppt werden zu müssen. Um Beeinträchtigungen der Messergebnisse durch Gleisverformungen infolge des Gewichtes des Schlepptriebwagens auszuschließen, zog bei Messfahrten vorzugsweise ein Pferdegespann das etwas seltsam anmutende Gefährt.

Zur freizügigeren Einsetzbarkeit entschloss man sich zur Beschaffung eines Messtriebwagens. Dieser wurde im Jahre 1920 von der Hauptwerkstätte der Gemeinde Wien – Städtische Straßenbahnen erbaut und in den Wagenpark unter der Typenbezeichnung SM mit der Nummer 6115 eingereiht. Aufgrund des angewandten Leichtbaues war er mit keinem bislang gebauten Fahrzeug vergleichbar.

Der Schienenstoßmesswagen 6115 im Straßenbahnmuseum Erdberg

Der Schienenstoßmesswagen 6115 im Straßenbahnmuseum Erdberg

Der Wagenkasten wurde in traditioneller Holzbauweise gefertigt und wies über den extrem kurzen Plattformen ein stark verjüngtes Tonnendach auf. Die Seitenwände waren gänzlich gerade und ohne die übliche Verblechung ausgeführt, stattdessen versah man den Wagen mit einer senkrechten schmalen Holzlattenverkleidung. Auch die Bauart der Türen entsprach nicht den üblichen Gepflogenheiten, so verfügten sowohl der Messraum als auch die beiden Führerstände über nach innen öffnende Flügeltüren.

Zur Stromabnahme aus der Fahrleitung diente anfangs ein in Wagenmitte montierter Versuchsscherenstromabnehmer, der allerdings bald durch einen Scherenbügel der Bauart SS 14/24 ersetzt wurde. Die Fahrstromzuführung konnte durch neben den Fahrschaltern situierte Hauptschalter manuell unterbrochen werden. Die Absicherung des Fahrstromkreises erfolgte durch eine Schubsicherung, die wie die Anfahr- und Bremswiderstände unter dem Wagenboden angebracht war.

An beiden Plattformen befanden sich Fahrerstände für stehende Bedienung, die vom eigentlichen Messraum durch Wände getrennt und mit je einem Schleifringfahrschalter der Type B8 ausgestattet waren. Als Fahrmotoren kamen zwei Gleichstrom-Reihenschlussmotore der Typen D 14/14 mit jeweils 4,7 kW Stundenleistung zur Anwendung, die zugleich der generatorischen Bremsung dienten. Die Wagenbeleuchtung erfolgte in zwei Glühlampenserien und als Frontbeleuchtung kamen runde Scheinwerfer zum Einbau.

Der Wagenkasten stützte sich über Blattfedern, Achshalter und Gleitachslager direkt auf die beiden Achsen ab. Eine Besonderheit stellten die Radsätze dar, die zur Isolation des Wagens über hölzerne Radscheiben verfügten und zur Verbesserung der Zugänglichkeit der Messaufnehmer eine innenliegende Lagerung aufwiesen.

Als Handbremse fand eine kurbelbetätigte Klotzbremse Verwendung, die über vier Bremsklötze auf die Räder der beiden Achsen wirkte. Zur Verbesserung der Reibungsverhältnisse zwischen Rad und Schiene kam eine von den Fahrerständen über Hebel bedienbare Sandstreuvorrichtung zum Einsatz, die jeweils vor das rechte Rad der ersten Achse wirkte. Als Schutzvorrichtung diente lediglich die Tastgitter-Fangkorb-Kombination und auf hölzerne Bahnräumer wurde gänzlich verzichtet.

Das Gehirn des Fahrzeuges befand sich am Instrumentenpult des Messraumes, der zwischen den beiden Fahrerständen situiert und nur über die beiden Außentüren erreichbar war. Die benötigte Messspannung konnte über einen mit 600 V gespeisten Umformer und Regelwiderstände angepasst werden. Die Aufnehmer befanden sich zwischen den beiden Achsen und bestanden aus je 2 Kupferbürsten, die bei Messfahrten von Gewichten an die Schienenoberfläche gedrückt wurden. Je Schiene wurde innerhalb einer Strecke von 2 Meter an einer Bürste Spannung angelegt und an der nachfolgenden Bürste abgetastet. Aus dem Spannungsabfall konnte somit auf erhöhte Übergangswiderstände von Schienenstößen geschlossen und Maßnahmen zu deren Beseitigung eingeleitet werden.

Der 6115 versah Messfahrten im gesamten Straßenbahn- und ab 1925 auch im Stadtbahnnetz. Im Jahre 1960 erfolgte eine Neulackierung, entgegen den Normalen für Arbeitsfahrzeuge in rot weißer Farbgebung, das dem Wagen ein wesentlich gefälligeres Aussehen verlieh. Die Inbetriebnahme des neuen Schienenstoßmesswagens SM1 6116 im Jahre 1966 machte den 6115 schließlich entbehrlich, jedoch scheute man sich dieses Unikat einfach zu verschrotten. Nach dem letzten öffentlichen Auftritt im Jahre 1968 als Sonderpostamt im Zuge der Jubiläumsveranstaltung „100 Jahre Straßenbahn in Wien“ erfolgte mit Wirkung vom 12. April 1970 die Ausmusterung aus dem Wagenpark der WStW-VB und in weiterer Folge kam es zum Ankauf durch den VEF. Seit 1986 befand sich der 6115 als Vertreter der vielfältigen Bauarten von Hilfsfahrzeugen im Wiener Straßenbahnmuseum und bereichert nunmehr die Ausstellung der Remise – Verkehrsmuseum der Wiener Linien.

Im derzeitigen Erscheinungsbild des Einsatzes zwischen 1960 und 1966 weist das Fahrzeug folgende Kenndaten auf:

Antriebsleistung 9,4 kW
Höchstgeschwindigkeit 25 km/h
Gesamtlänge 7.400 mm
Fahrzeugbreite 2.100 mm
Achsstand 2.600 mm
Eigengewicht 7.200 kg

Mit Bescheid des Bundesdenkmalamtes vom 01.09.2014 wurde der Wagen als technisches Denkmal unter Denkmalschutz gestellt, da er aufgrund seiner Seltenheit, Anschaulichkeit und Innovation eine besondere geschichtliche und kulturelle Bedeutung hat.

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